Was ist Segen?

Liebe Gemeinde!

Leben wir nicht in einem wunderbaren Fleckchen Erde? Das Klima ist mild – obwohl es wärmer wird – wir haben nicht zu tun mit Überschwemmungen und Flutmassen, Wirbelstürme gibt es bei uns nicht. Es wächst und gedeiht hier alles vom Apfel bis zur Zitrone, Feigen, Kastanien und Wein. Ja, ein gesegnetes Fleckchen Erde ist unser Land.

So sagt man doch: Segen liegt auf ihm. Aber was ist das eigentlich, Segen? Wir haben in den Schriftlesungen gehört: Gott sprach zu Abraham: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“. Und im Evangelium: „Jesus legte die Hände auf die Kinder, herzte sie und segnete sie.“ Was ist das, Segnen/Segen?

Ja, er steht am Ende eines jeden Gottesdienstes. Wissen wir. Wird auch heute so sein. Am Ende der Segen. Ich habe früher viele Gottesdienste in Altenheimen gehalten. Da kam regelmäßig eine alte Dame. Fast blind. Fast taub. Sie sagte mir einmal: „Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich höre nicht, was Sie sagen, kein einziges Wort. Ich sehe Sie nicht und das Gesangbuch nicht.“ „Warum kommen Sie dann?“ wollte ich wissen. „Ich komme“, sagte die Alte, „wegen dem Segen.“

Es scheint eine tiefe Ahnung, nein: eine tiefe Sehnsucht des Menschen nach Segen zu geben. Man kann sehr unterschiedlich dazu stehen, was zumindest die Prot. Kirche unternimmt, um wieder näher bei den Menschen zu sein. Zum Beispiel eine Segensagentur. Kirche bietet Menschen, die das wünschen, ganz unkonventionell an, sie zu bestimmten Anlässen, Familienfesten, Taufe, Trauung, Ehejubiläum zu segnen. Der Rahmen und Ort kann sehr ungewöhnlich sein – ein Riesenrad auf dem Wurstmarkt. Die „Nachfrage“ war riesengroß. Menschen haben eine Ahnung und eine Sehnsucht nach Segen. Er soll wirken. Im Alltag.

Und da, im Alltag, ist er viel gegenwärtiger, als man so denkt. In manchen Sprachen ganz deutlich und offen. „Dein Tag sei hell” wünschen sich heute noch die Türken. „Buenas Dias”, gute Tage, sprechen sich die Spanier zu, d.h. nicht nur dieser, sondern alle weiteren Tage sollen gelingen. Versteckt sind die Segensworte in unseren Grüßen. Wenn wir „morgen” sagen, heißt das eigentlich: „Ich wünsche dir, dass der Morgen gut wird.”

Wir murmeln „Mahlzeit” und meinen gesegnete Mahlzeit. Wir sagen „Tschüß”, aber dahinter steht das „adieu”, zu deutsch: Gott befohlen. Wer in Bayern zu Hause ist, sagt beim Abschied „Pfuet di“ und sagt damit: Gott behüte dich. Wer sich gerne weltmännisch gibt, sagt „bye-bye”. Doch wohl die wenigsten wissen, dass das ursprünglich meint: „God be with you“ - Gott sei mit dir.

Eines wird hier deutlich – was auch hinter der Ahnung der Menschen steckt, die den Segen wünschen: Den Segen kann man sich nicht selbst sagen. Ich kann mich nicht selbst segnen. Der Segen muss mir zugesprochen werden. Er ist ein Zuspruch. Von wem?

Das offenbart die Bibel Überraschendes. Das Wort für „segnen“ ist in der hebräischen Bibel dasselbe wie für „loben“. Segnen und loben sind eins. Wer segnet, spricht also zugleich ein Lob aus. Und wer lobt, segnet zugleich. Im Lateinischen und Griechischen ist die Doppelung wunderbar zusammengefasst: „benedicere / eulogein“ heißt da segnen, zu deutsch wörtlich: gut reden, Gutes sagen.

Tatsächlich: das will doch jeder Mensch. Das tut doch jedem gut, wenn ihm Gutes angesagt wird, wenn er gelobt wird. Das will jeder Mensch und das braucht jeder Mensch. Daher kommt diese Sehnsucht nach Segen, diesem Gutwort, das mir gesagt wird. Insofern und in diesem Sinn kann jeder Mensch den anderen segnen, ihn loben, ihm Gutes zusprechen.

Aber Segen ist noch mehr – und das ist das Wunderbare – denn nicht nur Menschen sprechen einander Gutes zu, sondern auch Gott selbst. Gott spricht zu uns sein tröstendes, befreiendes, hoffnungweckendes Wort. Gott segnet uns.

Und wenn Gott segnet, ist das wie Gottes Angesicht in unserer Nähe. Sein Segen ist die Zu-Sage (wörtlich) seiner Nähe, eine Zusage, an die wir uns halten können und die wahr und wirklich werden soll.

Wenn Gott segnet, dann wirkt der Segen sofort, wirkt der Segen fort - als Zu-Spruch und Versprechen, als ausgesprochen Gewissheit, dass wahr wird, was gesagt ist. So etwas ist zu spüren. Das strahlt aus. Es ist bei den Menschen ein tiefes Wissen oder Gespür um die Wirkkraft des Segens.

Gott sagt seine Nähe und seine Gegenwart zu. Er umarmt die Menschen, die Kinder, Eltern, Älteren, die Sterbenden, die Trauernden. Er umarmt sie alle und seine so schöne und zugleich geschundene Welt.

Es wird nicht alles heil dadurch. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass wir die Welt ertragen können. Der Boden ist so schwer, auf dem wir leben; so viele Seelen sind schon zum Sterben müde; und wund, und hilflos ohne Sprache, ohne Gebet. Die Schritte werden zu manchen Zeiten immer schwerer. Manchmal oder oft müssen wir erhoben werden, müssen wir sanft aufgehoben werden. Dann muss es einfach sein, dass diese Worte erklingen: Gott segne dich. Segen ist ein sanftes Aufgehoben Werden von schwerem Boden.

Und mehr noch: Aus dem Segen fließt Sinn. Segen ist, was dem Sinn vorausgeht. Segen ist, was unserem scheinbar sinnlosen Erleiden dieser Welt seinen Sinn erschließt.

Der da war und mitging mit seinem Volk in der Wüste, der da war und mitlitt mit Jesus von Nazareth am Kreuz, der ist auch jetzt da und hüllt mich ein in diese Segensworte, die mir seine Nähe und Gegenwart versprechen. Darum kann ich heute fest mit ihm rechnen, wo es mir gut geht, und auch morgen in der allerschwersten Stunde. Gott hüllt mich ein, sagt seine Gegenwart zu, seinen Schutz, und sein Licht, und seinen Frieden, macht mir mein Leben sinnvoll.

Das heißt nicht, dass er mir die Welt mit all ihren Schrecken erklärt. Das tut er nicht. Leider nicht. Ich verstehe oft Gott nicht und verstehe oft die Welt nicht. Ich kann die Welt nicht erklären. Ich muss es auch nicht - wenn ich nur gesegnet sein darf und Sinn in dem Ganzen erwarten darf. Sinn im Leben entdecken heißt nicht: die Welt erklären, sondern geborgen sein, eine Geborgenheit bei Gott erfahren, die kleine Erklärung mehr braucht.

Der Segen Gottes, er braucht keine Erklärung, man kann ihn nicht erklären. Wir können ihn nur empfangen und empfinden, erfühlen und manchmal auch im tiefen Inneren verstehen in seinem Glanz, der viel höher ist als unsere Vernunft.

Der Segen Gottes, er entzieht sich Erklärungen und Definitionen. Wir können uns seinem Geheimnis am ehesten nähern durch Bilder, durch Symbole, durch Erzählungen und Geschichten. Es gibt eine jüdische Legende, die eindrücklich aufnimmt, worum es im Segen geht: Jedes Mal, wenn der Segen gesprochen wird, wird ein Engel geschaffen.

Ein Engel - der nicht allein lässt, der Gottes Gegenwart spüren lässt, der Erfüllung schenkt trotz unerfüllter Wünsch, der beisteht und schützt, der lindert und heilt, der anspornt und ermutigt, der Frieden gibt und Licht: alles, was wir zum Leben brauchen.

Es gibt Worte, über die kann man nicht sprechen. Man kann sie nur empfinden und empfindsam sagen. Man kann sie nur nachempfinden, nachformulieren, mitsprechen, mitfühlen und sie sich sagen lassen. Jene Worte, mit denen Gott seine so schöne und so geschundene Welt umarmt, damit wir sie ertragen:

Gott,
Licht und Odem,
Brot und Brunnen allen Lebens

segne dich
und das, was du in diesem Leben denkst, tust, bewirkst:
dass daraus etwas Gutes und Heilvolles entsteht,

und behüte dich
und die Menschen, die du liebst,
dass auch sie gesund bleiben an Leib und Seele.

Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir,
dass du in der Stille deiner Zeit dein Leben
im Lichte der Wahrheit bedenkst
und dir Versäumtes eingestehen kannst,

und sei dir gnädig,
dass du befreit wirst
von Schmerzen, Angst und Schuld.

Gott erhebe sein Angesicht auf dich,
dass keiner deiner Träume
und nicht eine deiner Hoffnungen verloren gehe,

und gebe dir Frieden,
dass du noch ein Wort der Liebe findest,
bevor dieser Tag endet.

Amen.

Pfr. Martin Anefeld

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