Predigtblog
Hier lesen Sie Woche für Woche zu jedem Sonntag einen Predigt-Blog.
Pfarrerin Susanne Fritsch stimmt ein in ein Lied vom unfassbaren Wirken Gottes.
Hier lesen Sie den Bibeltext: Lukas 1, 39-55
I
Lukas lässt das junge Mädchen Maria dieses wunderbare Lied singen. Dass wir es überhaupt zu hören bekommen, ist etwas Besonderes. Denn wer damals von Hand mit teurer Tinte auf handgemachtem Papyrus-Papier ein Buch schrieb, der wog jedes Wort sorgfältig ab. Der verschwendete kein Papier. Lukas also richtet den Scheinwerfer auf zwei Personen, die zur damaligen Zeit als völlig unbedeutend galten. Zwei Frauen! Eine davon schon alt. Elisabeth hatte noch kein Kind zur Welt gebracht, hatte bisher nichts zum Fortbestand der Sippe beigetragen, galt als von Gott vergessen und nicht gesegnet.
Maria hatte als junges Mädchen überhaupt keine Stimme in der Gesellschaft, nichts zu melden. Diesen Frauen gibt Lukas nun eine Stimme, und ihre Worte klingen noch 2000 Jahre später nach: Sie beide preisen Gott, weil sie erfahren haben: Gott wendet sich mir zu! Er hat Interesse an mir, obwohl ich in der Gesellschaft ein Niemand bin. Ich bin ihm nicht egal. Er ehrt mich über alle Maßen. Elisabeth fühlt sich geehrt, weil „die Mutter ihres Herrn“ zu ihr kommt. Sie ist die erste im Lukas-Evangelium, die den noch ungeborenen Jesus mit dem Titel „Herr“ bezeichnet.
Maria kann es nicht fassen: Sie ist ausersehen, die Mutter des Messias, des vor Jahrhunderten von Gott versprochenen Königs zu sein. Ausgerechnet ihren Namen, den bisher niemand kennt, wird man nun für alle Generationen weitertragen.
Bei uns wird das wohl nicht der Fall sein. Die meisten unserer Namen werden nach einigen Generationen vergessen sein. Aber die unglaubliche Erfahrung, dass Gott sich uns persönlich zuwendet, dass jeder von uns ihm so wichtig ist, als wäre sie oder er die einzige Person auf der Welt: Die können wir auch machen. Gott sagt einmal: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, dann will ich mich von euch finden lassen.“ In Wirklichkeit ist er natürlich der, der uns sucht. Wenn wir das Gefühl haben, wir bekommen keine Verbindung zu ihm, dann ist das schon ein deutliches Zeichen, dass er uns sucht. Denn von selber sind wir gar nicht imstande, uns wirklich Gott zuzuwenden. Sein heiliger Geist ist es, der die Sehnsucht nach Gott in uns weckt. Durch seine Berührung fangen wir an, ihn von ganzem Herzen zu suchen.
II.
Maria findet steile Aussagen, um Gottes Wirken in der Welt zu beschreiben.
„Er hebt seinen starken Arm
und fegt die Überheblichen hinweg.
Er stürzt die Machthaber vom Thron
und hebt die Unbedeutenden empor.
Er füllt den Hungernden die Hände mit guten Gaben
und schickt die Reichen mit leeren Händen fort.“
Manchmal, wenn ich das lese, möchte ich ungeduldig rufen: „Wann tust du das denn endlich, Gott? Wann sehen wir dich die überheblichen Machthaber vom Thron fegen?“ Und dann fällt mir ein, wie ich vor zwei Wochen nach dem Gottesdienst hier in Wollmesheim heimkam und mir nur noch die Augen reiben konnte, als ich las: Assad ist weg vom Fenster. Nach 54 Jahren Diktatur seiner Familie… Es war unglaublich. Klar, da bleibt für Gott und die Menschen noch viel zu tun, bis die Gerechtigkeit hergestellt ist. Aber allein die Bilder von Gefangenen zu sehen, die zu Tausenden frei sind…Das hat mich so glücklich gemacht.
Wenn wir Marias Botschaft zusammenfassen, lautet sie: Gott wendet sich den Bedürftigen zu. Denen, die wissen: Ich brauche Gott. Die, die hungrig sind nach Gott, die sich nach Liebe und Vergebung ihrer Schuld sehnen: Denen kann Gott die leeren Hände füllen. Aber die, die glauben, ihn nicht zu brauchen, die werden ihn vermutlich nicht erleben. Alle die, die denken: Ich bin bereits ein guter Mensch. Ich habe alles richtig gemacht im Leben und brauche Gott und die Kirche und den Gottesdienst nicht. Ich habe immer alle Gebote gehalten. All denen, die Gott ihre Hände mit all ihren guten Taten entgegenstrecken, kann er nichts geben. Da passt ja nichts mehr hinein. Gott ist ein Gott derer, die ihm ihre leeren Hände entgegenstrecken. Und das tun wir unter anderem in jedem Gottesdienst. Wir kommen zusammen, weil wir einander brauchen. Wir kommen zusammen vor Gott, damit er uns die leeren Hände füllt.
Mit dem, was wir brauchen. Zum Beispiel Hoffnung und Vorfreude auf sein Handeln.
Susanne Fritsch